Interview mit Bäcker Ringo Reichelt von „Tyls Brotkorb“
Seit über 15 Jahren werden in der Traditionsbäckerei „Tyls Brotkorb“ glutenfreie Backwaren nach eigenen Rezepturen ohne Fertigmischungen selbst hergestellt. 2018 hat Familie Reichelt die Bäckerei von Familie Tyl übernommen. Klar war dabei von Anfang, dass es weiterhin auch glutenfreie Backwaren geben soll. Mittlerweile ist auch Ringo Reichelt Profi, wenn es um das glutenfreie Backen geht. Im Interview haben wir erfahren, welche glutenfreien Backwaren die Bäckerei anbietet, welche Herausforderungen das glutenfreie Backen mit sich bringt und unter welchen Bedingungen es besonders gut gelingt.
Scheidegg-Tourismus: Herr Reichelt, im Januar 2018 haben Sie die Bäckerei von Familie Tyl übernommen. Teil des Konzepts von Familie Tyl war auch, dass es glutenfreie Backwaren gibt. War für Sie von Anfang an klar, dass auch Sie Glutenfreies anbieten?
Reichelt: Ja, für uns war klar, dass wir das Konzept, die Philosophie und die Rezepte von Herrn Tyl voll und ganz übernehmen. Dazu gehört, dass in allen Backwaren 100 Prozent Natur steckt, sonst nichts. Das heißt beispielsweise, dass wir keine Fertigbackmischungen verwenden, alle Mehle hier vermahlen werden und wir Natursauerteig verwenden. Und Teil des Konzepts ist eben auch, dass wir glutenfreie Backwaren anbieten.
Scheidegg-Tourismus: Werden die Mehle für die glutenfreien Backwaren hier auch gemahlen?
Reichelt: Nein, die Rohstoffe hierfür beziehen wir aus der Altdorfer Mühle in der Nähe von Böblingen. Diese werden im mehlfreien Produktionsraum gemischt, danach werden die Teige hergestellt und verarbeitet. So können wir absolute Sorgfalt und Kontaminationsfreiheit garantieren. Abgebacken werden die Backwaren dann nach Ende der sonstigen Backwaren-Produktion und nach einer vollständigen Grundreinigung, somit kommen die glutenfreien Waren zu keinem Zeitpunkt mit anderen Backwaren in Berührung. Dieses Vorgehen ist relativ aufwendig, deshalb erhält man bei uns frisch gebackene glutenfreie Backwaren immer nur dienstags und freitags auf Vorbestellung.
Scheidegg-Tourismus: Sie haben zuvor in Thüringen auch schon eine eigene Bäckerei besessen. Haben Sie auch dort glutenfreie Backwaren angeboten?
Reichelt: Nein, in unserer vorherigen Bäckerei haben wir nichts Glutenfreies angeboten. Mit Zöliakie und dem glutenfreien Backen habe ich mich erst hier beschäftigt.
Scheidegg-Tourismus: Und sind Ihnen die Produkte von Anfang gleich gelungen? Die glutenfreien Mehle besitzen kein Klebereiweiß, das für gewöhnlich alles gut zusammenhält. Ich stelle mir das gar nicht so einfach vor.
Reichelt: Das stimmt, die Teige sind viel empfindlicher und weicher. So muss man bei der Temperatur aufpassen und darauf achten, dass die Teige nicht zu weich werden. Gleichzeitig brauchen die glutenfreien Teige mehr Feuchtigkeit, da die Backwaren sonst sehr trocken werden. Aber Herr Tyl hat mir anfangs genau auf die Finger geschaut und mir gezeigt, wie auch die glutenfreien Backwaren gelingen.
Scheidegg-Tourismus: Und welche Tipps können Sie nun Zöliakiebetroffenen geben, damit die glutenfreien Backwaren auch zu Hause glücken?
Reichelt: Brote sollten nur in einer Form gebacken werden, da der Teig nicht stabil genug ist. Außerdem kann bei gewöhnlichen Rezepten nicht einfach glutenhaltiges Mehl durch eine glutenfreie Alternative ersetzen. Man braucht immer ein Bindemittel. Wir verwenden zum Beispiel Johannisbrotkernmehl zur Stabilisierung. Unsere Kunden erhalten bei uns übrigens eine von uns selbst hergestellte glutenfreie Mehlmischung, die eine genaue Rezeptanleitung für das Backen eines Brotes beinhaltet. Hier geben wir beispielsweise auch an, welche Temperatur das Wasser haben muss, damit der Teig nicht zu weich wird und so seine Form behält.
Scheidegg-Tourismus: Und welche glutenfreien Produkte bieten Sie außer der Mehlmischung an?
Reichelt: Glutenfreies Brot wahlweise mit Sonnenblumen- oder Kürbiskernen, Sesam, Mohn, Karotten oder Walnuss, glutenfreie Semmeln, glutenfreien Obstkuchen mit Früchten der Saison auf einem hellen oder Schokobiskuitboden und Marmorkuchen sowie glutenfreie (Schoko-)Cookies.
Scheidegg-Tourismus: Halten Sie für die zoliakiebetroffenen Kunden auch ein saisonales Angebot bereit?
Reichelt: Ja, zu Ostern haben wir glutenfreie Osterlämmer. Und im Winter gibt es glutenfreies Birnenbrot und glutenfreie Lebkuchen und ich experimentiere immer mit neuen Rezepten. Vor Kurzem habe ich glutenfreies Spritzgebäck gebacken. Das Rezept dafür stammt aus Thüringen von meinem Vater. Ich musste etwas bei den Anteilen der unterschiedlichen Mehle spielen. Nachdem ich den Anteil an Reismehl reduziert hatte, war es richtig gut.
Scheidegg-Tourismus: Das klingt sehr lecker. Zöliakie geht leider oftmals mit anderen Nahrungsmittelun¬verträglich-keiten und -intoleranzen einher? Können Sie auf besondere Kundenwünsche eingehen?
Reichelt: Wir versuchen immer alles möglich zu machen und wenn Zöliakiebetroffene mit speziellen Wünschen zu mir kommen, gehe ich gerne auf diese ein und versuche sie zu verwirklichen. Wenn jemand beispielsweise keine Hefe verträgt, können wir diese durch glutenfreies Backpulver ersetzen, bei Laktoseintoleranz verwenden wir Öle statt Butter und eifreies Backen ist für uns auch kein Problem. In diesen Fällen greifen wir auf veganen Eiersatz zurück.
Scheidegg-Tourismus: Wenn man das so hört, findet es bestimmt manch ein Zöliakiebetroffener sehr schade, dass es keine Bäckerei wie Ihre überall vor Ort gibt.
Reichelt: Auch hier haben wir eine Lösung. Unsere glutenfreien Backwaren versenden wir auch innerhalb Deutschlands.
Scheidegg-Tourismus: Das ist prima. Ich danke Ihnen recht herzlich für das Interview und Ihre Zeit.