Diagnose Zöliakie – Wie man aus der Not eine Tugend machen kann

Interview mit Familie Reiniger

Jessica und Leslaw Reiniger haben aus der Not eine Tugend gemacht. Denn seitdem sie wissen, dass der Großteil der Familie an Zöliakie leidet, haben sie so lang an eigenen glutenfreien Mehlen gefeilt, bis es gelungen ist, dass die Backwaren „normal“ schmecken. Das finden auch andere Betroffene und so ist das Familienunternehmen Smart Gluten Free entstanden. Familie Reiniger war zu Besuch in Scheidegg und im Interview erzählt das Ehepaar, wie es ist, wenn die ganze Familie zöliakiebetroffen ist und mit welchen Herausforderungen die Krankheit für Eltern und Kinder einhergeht. 

Scheidegg-Tourismus: Wann haben Sie das erste Mal von Zöliakie gehört?

Jessica Reiniger: Das erste Mal haben wir 2009 von Zöliakie gehört. Unsere Tochter Priscilla war ungefähr ein Jahr alt und wir waren mit ihr beim Kinderarzt. Wir waren zuvor schon bei verschiedenen Ärzten und immer war sie angeblich kerngesund. Alle Werte waren gut, aber für uns war klar, dass sie etwas hat, das nicht normal war. Sie hatte immer Durchfälle, einen aufgeblähten Bauch und ganz dünne Arme und Beine. Die Ärzte, die wir konsultierten, haben dann immer gesagt, dass sie nichts habe, es gebe einfach verschiedene Kinder; manche hätten einen dicken Bauch und andere nicht und unsere Tochter sei halt so, wie sie ist, aber das sei ok. Dann waren wir bei einer weiteren Ärztin und als sie sich Priscilla angeschaut hat, hat sie direkt gesagt ‚Dieses Kind hat Zöliakie‘ und daraufhin wurde sie auf Zöliakie untersucht und der Befund war positiv.

Scheidegg-Tourismus: Und wie hat sich dann Ihr Alltag durch die Diagnose verändert?

Jessica Reiniger: Bei Priscillas Diagnose war es für uns alle ein großer Schock. Wie konnte meine wunderschöne Tochter krank sein und eine Krankheit haben, die nie wieder weggeht? Ich war traurig und wusste nicht, wie ich mit der Situation umgehen soll. Ich wusste, dass die Krankheit nie wieder weggeht, ich wusste allerdings nicht, dass man ganz normal und gesund leben kann, wenn man auf Glutenhaltiges verzichtet. Wir haben dann ihre Ernährung umgestellt, uns bei der DZG angemeldet und deren Übersichten mit glutenfreien Lebensmitteln und die Zutatenlisten aller Produkte im Supermarkt studiert. Priscilla hat sich daraufhin glutenfrei ernährt, wir haben aber weiterhin normal gegessen. Schwierig war auch, dass die Familie meines Mannes die Krankheit anfänglich nicht sonderlich ernst genommen hat. Man solle sich nicht so anstellen – das war das Motto.

Leslaw Reiniger: Ich erinnere mich daran, dass meine Mutter bei Besuchen zuerst immer wieder gesagt hat ‚Ach je, das arme Mädchen wird doch wohl mal ein Brötchen essen dürfen‘. Uns war aber klar, dass sie keinen einzigen Krümel mehr esse darf. Die Einstellung meiner Familie änderte sich jedoch, als meine Schwester feststellte, dass ihr Kind die gleichen Symptome wie unsere Tochter hat. Bei ihrem Kind wurde dann auch Zöliakie diagnostiziert. Daraufhin ließen sich auch meine Mutter und meine Schwester untersuchen und bei beiden war der Befund positiv. Ab diesem Zeitpunkt nahmen sie die Krankheit ernst.

Scheidegg-Tourismus: Herr Reiniger, nun weiß ich, dass auch Sie und Ihr Sohn eine Glutenunverträglichkeit haben. Haben Sie sich nach der Häufung von Diagnosen dann einfach auch auf Zöliakie untersuchen lassen?

Leslaw Reiniger: Nein, bei mir hat es zweimal nicht geklappt, eine Biopsie durchzuführen. Auf einen weiteren Versuch habe ich dann verzichtet. Einen schriftlichen Befund brauchte ich für mich nicht.  Denn seitdem ich mich glutenfrei ernähre, habe ich festgestellt, wie schlecht es mir eigentlich unter der glutenhaltigen Ernährung ging und wie gut es mir eigentlich gehen kann.

Jessica Reiniger: Bei unserem Sohn war es so, dass er als Säugling immer krank war. Aus einer leichten Erkältung wurde beispielsweise direkt eine Bronchitis und dann eine Lungenentzündung.  Die Ärzte hatten keine Idee, woher das kommt. Zöliakie konnte es eigentlich nicht sein, denn er wurde gestillt und bekam nichts außer Muttermilch. Daraufhin bin ich zu einer Heilpraktikerin gegangen. Sie fragte mich, ob ich Milch und Getreide essen würde und sagte, ich solle meinem Sohn zuliebe darauf verzichten. Bei Valentin diagnostizierten die Ärzte dann auch Zöliakie und so kam es, dass wir uns ab diesem Zeitpunkt alle glutenfrei ernährten.

Scheidegg-Tourismus: Und war das auch die Zeit, in der Sie anfingen, Frau Reiniger, eigene Mehle und Backmischungen zu entwickeln?

Jessica Reiniger: Ja, ich konnte die glutenfreien Produkte, die es auf dem Markt gab, einfach nicht essen und daher fing ich an, selbst Brot und Brötchen zu backen und Dinge auszuprobieren. Ich habe so lange experimentiert, bis es geklappt hat. In einer Facebook-Gruppe habe ich meine Mischungen und Rezepte dann geteilt und hier sagte man mir, dass ich die Mehle doch auch verkaufen solle, das wäre für andere Mütter und Betroffene eine Erleichterung. So war unsere Geschäftsidee geboren und nun haben wir unsere eigene Firma und produzieren unsere eigenen glutenfreien Mehle.

Scheidegg-Tourismus: Was sind denn die größten Herausforderungen für Ihre Kinder im Hinblick auf das Leben mit Zöliakie?

Jessica Reiniger: Momentan gibt es eigentlich keine Herausforderungen. Bei uns zu Hause ist glutenfreie Ernährung normal, weil wir uns alle glutenfrei ernähren. Die Kinder haben also nicht das Gefühl, anders zu sein oder ausgegrenzt zu werden. Es ist manchmal schade, dass wir nicht auswärts essen können. Aber deshalb sind wir beispielsweise nun auch in Scheidegg. Hier können wir ins Restaurant gehen, die Kinder suchen sich etwas von der Speisekarte aus. Da klappt alles und das freut sie und uns. Ich glaube, dass die Pubertät hart wird. Wenn sich Priscilla z.B. mit Freunden zum Essengehen verabredet und immer sagen muss, was sie alles nicht essen kann. Das wird schwierig für sie.

Scheidegg-Tourismus: Gibt es denn bei Ihnen zu Hause oft Situationen, in denen Ihre Kinder traurig sind und sich fragen, warum gerade sie keine „normalen“ Lebensmittel essen dürfen?

Leslaw Reiniger: Das gibt es eigentlich gar nicht, aber vor allem deshalb, weil bei uns die glutenfreie Ernährung eben die Normalität ist. Da gibt es niemanden, der Glutenhaltiges isst und nichts, worauf man verzichten muss.

Scheidegg-Tourismus: Was würden Sie denn anderen Eltern zöliakiebetroffener Kindern raten?

Leslaw Reiniger: Vielleicht ist es für andere Eltern hilfreich, wenn sie sich die Frage stellen, ob sie einen Haushalt führen wollen, in dem alle das Gleiche essen oder ob es eben jeweils glutenhaltiges und glutenfreies Essen geben soll. Wenn sich die gesamte Familie glutenfrei ernährt, fühlen sich die betroffenen Kinder nicht ausgeschlossen, gleichzeitig müssen diejenigen, die keine Zöliakie haben, auf etwas verzichten. Hier muss man sich entscheiden. Ich persönlich halte den Mittelweg, bei dem das glutenfreie neben dem glutenhaltigen Essen zubereitet wird aufgrund des erhöhten Kontaminationsrisikos insbesondere am Anfang für schwierig. Mit der Zeit und der einhergehenden Erfahrung ist jedoch auch das zu schaffen.

Jessica Reiniger: Ich würde den Eltern raten, sich mit der Krankheit zu beschäftigen, und zwar auf eine positive Art und Weise und nicht zu denken ‚Oje, mein Kind ist krank‘. Vielmehr sollte man sich informieren, vieles ausprobieren und darauf vertrauen, dass die Produkte, die als glutenfrei ausgelobt werden, auch glutenfrei sind.

Scheidegg-Tourismus: Vielen Dank, Familie Reiniger für das interessante Interview!

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